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Interview – KURIER 2006
Interview – KURIER 2009

Hoppes Liebeserklärung an Bayreuth
KURIER-Interview 10. Januar 2006: Uwe Hoppe über Professorengattinnen, den Geist der 68er und den Bayreuther Intellektuellen

von Roman Kocholl

Nicht nur durch seine Wagner-Adaptionen hat sich Uwe Hoppe weit über Bayreuth hinaus einen Namen gemacht. Die Geschichte der Studiobühne Bayreuth hat der Schauspieler, Regisseur und Autor von Beginn an miterlebt.

KURIER: Herr Hoppe, welcher Geist herrschte in der Truppe, die vor 25 Jahren die Studiobühne gegründet hat?

Hoppe: Es war eine ungeheure Aufbruchstimmung mit dem Bewusstsein, dass in so einer Stadt einfach Kultur stattfinden muss. Die Idee von Werner Hildenbrand, dass hier ein festes Theater stattfinden müsste, war der beherrschende Geist. Es gab eine Gruppe von ungeheuer idealistischen Menschen, die das machen wollten. Ich war 1978 zum ersten Mal beim Jugendfestspieltreffen und habe einen Teil der Truppe kennen gelernt. Wir haben mit ungeheurer Verve gearbeitet, es gab null Geld, wir haben uns ganz mühselig durchgeschlagen. Als wir anfingen, mein erstes Stück zu konzipieren, hatte ich eine Bühnenbildnerin aus Berlin dabei, die von jedem der Mitwirkenden erst mal 50 Mark eingesammelt hat, damit sie Stoffe kaufen konnte. Und das war gar keine Frage, dass wir das mit Wonne gegeben haben, um mit großem Elan, aber eigentlich mit nichts, Theater zu machen. Wir haben, glaube ich, zu Anfang ästhetisch-inhaltliche Theaterstücke geschaffen, die nach 25 Jahren Arbeit am Theater immer noch Bestand haben. Wir hatten eine ungeheure Lust am Experimentieren und eine ungeheure ästhetische Kraft in dem, was wir gemacht haben. Es herrschte ein Idealismus, der an die Existenzgrenzen der Macher ging. Wir haben nicht nur Kraft und Fantasie investiert, sondern auch Geld. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das gemacht haben. Aber man kam auch mit ’nem Bier und ’ner Gurke am Tag aus. Das ging früher ja.

KURIER: Ließ sich diese Energie über 25 Jahre beibehalten?

Hoppe: Das kann ich nicht sagen, weil ich selber zu sehr drinstecke. Ich habe für mich das Gefühl, dass ich erwachsener, reifer, gesetzter geworden bin und dass ich auch schon darauf achte, dass ich, wenn ich außerhalb von Bayreuth arbeite, Geld verdiene. Ich darf in anderen Theatern über Regiegagen, die ich hier kriege, nicht reden. Die würden mich für verrückt halten. Aber es ist hier auch ein Stück mein Kind, und wenn ich gefragt werde, etwas zu machen, dann mache ich das natürlich auch. Der Idealismus hat sich schon gehalten. Was ein bisschen verloren ging, ist vielleicht Experimentierfreude und der Mut zu Blödsinn, den ich immer wieder einfordere. Das ist ein bisschen auf der Strecke geblieben. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass man versucht, das Publikum bei der Stange zu halten. Was uns zu Anfang völlig egal war. Wir mussten das Theater machen, das wir wollen. Ob da jemand kommt oder nicht, ist egal. Das kann man im Moment nicht.

KURIER: Experimente sind also in Zeiten knapper Kassen nicht mehr drin . . .

Hoppe: Das kann man sich als Theater, das zu einem großen Prozentsatz auf Einnahmen angewiesen ist, nicht mehr leisten. Das finde ich aber nicht schlimm. Ich bekomme an anderen Theatern auch die Auflage, dass sie sagen, wir erwarten, dass du dieses Stück historisch inszenierst. Das muss der Regisseur dann eben auch erfüllen. Wobei es immer noch Produktionen gibt, die subversiv sind, wo man Sachen ausprobiert, die ein bisschen frech sind. Wobei ich es mittlerweile auch als Subversion empfinde, wenn man sagt, wir machen das mal genau so, wie’s da steht, und versuchen nicht gegen den Strich zu bürsten. Wenn ich mir manche Produktionen auch an großen Häusern angucke, die manchmal nur zu einem Drittel gefüllt sind am Samstagabend, dann sage ich mir, die Schauspieler wollen schon auch vor Leuten spielen. Da ist es legitim, zu sagen, lass es uns bitte mit großer Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit machen, aber nicht unbedingt gegen den Strich bürsten und versuchen revolutionär zu sein.

KURIER: Wodurch unterscheidet sich die Studiobühne von anderen Theatern?

Hoppe: Die ungeheure familiäre Atmosphäre des Theaters finde ich sehr bereichernd bei der Herstellung eines künstlerischen Produktes. Man entwickelt zusammen mit den Werkstätten, ist bei allen Anproben dabei. Wenn die Kollegen anfangen zu bauen, kann man sagen, nee, das stimmt nicht. Das Ineinandergreifen von allen Bereichen im Theater, das in so einem Haus wie der Studiobühne möglich ist, gefällt mir ungeheuer gut. Was mir auch gut gefällt, ist, dass ich als Autor auf die Truppe hin schreiben kann.

KURIER: Heißt das, Sie haben ihr neues Stück „Nachts sind alle Franken blau” den Schauspielern der Studiobühne auf den Leib geschrieben?

Hoppe: Nein, da ist es anders. Die Figurenkonstellation und wer welches Kostüm in dem Stück hat, ist schon genau ausgedacht. Um einen genauen Gegenpol zu der Persönlichkeit zu finden, die der Schauspieler im Leben verkörpert. Das haben wir uns sehr genau ausgedacht. Die Figur muss so gegensätzlich gearbeitet sein, um da einen neuen Anreiz zu schaffen. Ansonsten ist das neue Stück eine wirkliche Revue, in dem sich keine konkrete Figur durch das Stück zieht. Es kommen Menschen zusammen, die normalerweise nicht zusammenkommen. Sie fahren mit dem Bus, weil Glatteis und Schnee ist, der Bus verfährt sich und sie landen alle in einem Wirtshaus, in das sie gar nicht wollten. Sie müssen jetzt mit der Situation fertig werden, dass sie eigentlich auf eine Faschingsfeier wollten, aber in dem Wirtshaus gar kein Fasching ist.

KURIER: Angeblich soll dabei auch der Club der frustrierten Arztgattinnen vorkommen. Gibt es dafür konkrete Vorbilder?

Hoppe: Es gibt schon Vorbilder, aber nicht konkret. Niemand wird erkennbar denunziert. Es gibt so Gruppen in der Stadt, wo man sagt, das ist typisch Bayreuth. Da gehören auch die Professorengattinnen dazu oder Beamtengattinnen, die einfach in der Stadt sitzen und alles ziemlich langweilig und frustrierend finden, weil man ja nichts machen kann. Es gibt dann auch ein Lied „Es ist ja alles so frustrierend”.

KURIER: Wie würden Sie denn den Bayreuther Intellektuellen charakterisieren?

Hoppe: Das kann ich nicht (denkt nach). Ich denke der Bayreuther Intellektuelle als solcher ist frustriert, weil er hier sitzt und es passiert nichts und man kann sich eigentlich nur per Internet und mit Büchern weiterbilden, und wenn man wirklich den Austausch sucht, muss man raus aus der Stadt. Frustration entsteht auch, wenn man das Gefühl hat, es bewegt sich nichts oder es bewegt sich so langsam, dass man Veränderung wahrscheinlich nicht mehr erlebt.

KURIER: Als die Studiobühne im Jahr 1980 gegründet wurde, waren an vielen Theatern in Deutschland noch die Nachwehen der 68er-Bewegung zu spüren. Ist diese Welle auch bis nach Bayreuth geschwappt oder blieb die Stadt davon völlig unberührt?

Hoppe: Nein, insbesondere das, was im Festspielhaus stattfand, der „Ring” von Patrice Chereau, der „Holländer” von Harry Kupfer, hat eine ungeheure Sogwirkung auf die Intellektuellen Europas gehabt. Im Sommer waren die alle hier. Man hatte wirklich das Gefühl, es ist jeder da, der in Europa von intellektuellem Rang ist. Das fing an mit dem „Tannhäuser” von Götz Friedrich. Da war eine Dekade am Festspielhaus, die einen ungeheuren Sog auf ganz Europa hatte. Dass Theater sehr politisch ist und trotzdem hoch ästhetisch sein kann, das ist in den zehn Jahren ungeheuer gut gelungen.

KURIER: Aber, war der Geist der 68er auch in der Stadt Bayreuth zu spüren?

Hoppe: Ich habe davon sehr wenig erlebt. Es gab schon – weswegen ich auch geblieben und wiedergekommen bin – Gruppierungen in der Stadt, die versucht haben, etwas zu bewegen. Es gab zum Beispiel die „Lockerspiele” im Gegensatz zu Festspielen. Das waren junge Künstler, Studenten oder Kunstschaffende aus der Stadt, die einfach einen Gegenpol setzen wollten. Das war ein kleiner Versuch. Das ist aber relativ bald eingeschlafen.

KURIER: Gab es kein Publikum? Hoppe: Ich glaube, Publikum hätte es schon gegeben. Aber die Macher waren nach vier, fünf Jahren etabliert und hatten kein Interesse mehr und nicht den Durchhaltewillen und nicht den langen Atem, den man braucht, um so etwas zu etablieren. Im Gegensatz zu Werner Hildenbrand, der wirklich, egal was passierte, durchgehalten hat unter den schlimmsten Bedingungen, unter den größten Arbeits- und Stressfaktoren und mit dem Wissen: Wenn man so etwas etablieren will, braucht man einen langen Atem. 25 Jahre reichen sicher nicht aus, um so etwas fest zu etablieren.

KURIER: War es das Ziel, ein Theater mit professionellem Schauspielensemble zu bekommen?

Hoppe: Nein, das Ziel war immer, das zu mischen. Das ist eine Sache, die in Deutschland über kurz oder lang immer mehr passieren wird, zu sagen, man muss die Leute aus der Region auch beteiligen. Es ist ganz wichtig, die eigene Sprache als Qualität zu begreifen. Die Sprache der Region hat eine Identität für die Menschen, die in ihr leben, und damit muss man arbeiten. Das geht aber nur mit Leuten, die aus der Stadt kommen, hier leben oder hier geboren sind. Das war immer Konzept der Bühne. Man muss die Menschen da abholen, wo sie stehen, und wie sie sprechen. Und zu begreifen, dass auch eine Sprache wie das Fränkische eine große poetische Qualität hat. Das war immer Anliegen der Bühne, und das geht nur, wenn man Schauspieler von hier einbindet. Die Studiobühne zu einem ganz normalen Stadttheater zu machen, war, glaube ich, nicht Bestreben und ist es auch nicht. Was wir allerdings gerne hätten, wäre, dass wir auf einer finanziell sicheren Grundlage arbeiten würden. Wir hätten gerne, dass anerkannt wird, dass das, was wir machen, eine wichtige Arbeit ist für die Stadt und für die Region.

KURIER: Gibt es keine Anerkennung seitens der Stadt?

Hoppe: Ich glaube, dass da viel Lippenbekenntnisse da sind, die sagen, wir akzeptieren das, aber den wirklich festen Platz, der ihr gebührt, hat die Studiobühne noch immer nicht. Das ist meine sehr persönliche Meinung. Vielleicht ist die Zeit dafür für eine Stadt wie Bayreuth zu kurz. 25 Jahre.

KURIER: Herr Hoppe, angenommen, sie wären der König von Bayreuth, was würden Sie in der Stadt ändern?

Hoppe: Als Kulturschaffender würde ich der Kultur in der Stadt einen größeren Stellenwert zugestehen, was sich nicht nur auf die Festspiele bezieht. Aus dem Markgräflichen Opernhaus mehr Kapital zu schlagen, fände ich wichtig. Es gibt in Bayreuth sicherlich die beiden schönsten Theater der Welt – das Festspielhaus und das Opernhaus -, es gibt aber auch das hässlichste Theater der Welt, die Stadthalle. Dem Attribut Kulturstadt wird die Stadt damit nicht wirklich gerecht. Aber ansonsten würde ich in Bayreuth ganz viel so lassen. Denn das, was mich dazu bewegt immer noch hier zu wohnen, obwohl ich ganz viel außerhalb Bayreuths arbeite, ist schon auch dieser ruppige fränkische Charme, den man, wenn man hier anfängt zwar ungeheuer befremdlich findet, mit der Zeit aber lieben lernt. Mein Lieblingswirtshaus ist immer noch in Bayreuth – die Brauerei Becher in der Altstadt, eines der ganz wenigen Wirtshäuser in Europa, wo keine Musik läuft. Das finde ich eine außerordentlich angenehme Sache, wenn man nach der Arbeit mit den Kollegen ins Wirtshaus geht, dass man nicht mit Musik zugeballert wird. Man müsste in Bayreuth das, was an Kapazität da ist, mehr nützen. Bayreuth hat durch die Wagner-Festspiele und den Nimbus Wagner eine ungeheure Anziehungskraft. Wenn man sagt, man wohnt in Bayreuth, sagt jeder „ah, das ist ja wahnsinnig toll”. Der Nimbus der Stadt hat nach außen eine ungeheure Strahlkraft, aber in der Stadt selbst spürt man davon sehr wenig.

KURIER: Ihr neues Stück – ist das Abrechnung oder eine Liebeserklärung an Bayreuth?

Hoppe: Das ist eine Liebeserklärung. Ganz eindeutig.